Toleranz beginnt dort, wo es weh tut – bei mir
- Lisa Hochstrasser
- 20. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. Aug.
Da, wo ich mich verletzlich fühle. Wo meine Zweifel laut werden. Wo ich mich selbst kaum ertrage. Es sind diese Momente, in denen ich mich am liebsten verstecken möchte – und doch genau dort hinschauen muss. Ich will ehrlich sein: Es kostet Mut, sich selbst dort zu begegnen, wo es schmerzt. Doch gerade da liegt die Kraft.
Denn Toleranz beginnt nicht im Außen. Sie beginnt in mir.
Mehr als nur dulden
Toleranz ist für mich eine innere Haltung. Sie zeigt sich in dem Moment, in dem ich aufhöre, gegen mich anzukämpfen. Wenn ich mich nicht mehr für meine Gefühle schäme. Wenn ich mir selbst sagen kann: „Ich bin genug – auch heute, auch jetzt, auch so.“
Zu oft funktioniere ich einfach. Ich will stark sein, alles im Griff haben, Erwartungen erfüllen.
Und verliere mich dabei. Doch echte Toleranz beginnt mit der Entscheidung, mir selbst Raum zu geben. Auch für das Unperfekte, das Wunde, das Unfertige.
Wenn der Tag schwer beginnt
Manche Tage beginnen mit Schwere. Ich wache auf und spüre sofort: Heute wird es anstrengend.
Manchmal ist es die Endometriose, die sich meldet. Diese stille, kraftzehrende Begleiterin, die kommt, wann sie will – ohne Rücksicht auf Termine oder To-do-Listen. Sie bringt körperliche Schmerzen, Erschöpfung, ein inneres „Ich kann heute nicht“.
Früher hätte ich mich durchgebissen, die Maske aufgesetzt, die Sorgen weggeschluckt. Heute höre ich hin. Ich sage mir: „Ich darf fühlen, was ist. Ohne Schuld. Ohne Scham. Ohne funktionieren zu müssen.“
Toleranz heißt hier: mich selbst respektieren, meine Grenzen anerkennen und ihnen Raum geben. Auch, wenn der Tag nicht so läuft, wie er sollte – sondern so, wie er muss.
Nähe zulassen
Momentan lebe ich alleine – aber ich kenne dieses Thema sehr gut. Ich war fast acht Jahre verheiratet. Ich weiß, wie es ist, jemandem nah zu sein, den man liebt – und sich trotzdem innerlich zurückzuziehen.
Es gab viele Momente, in denen ich Nähe wollte und gleichzeitig nicht fähig war, sie ganz zuzulassen. Nicht, weil Liebe gefehlt hätte. Sondern weil mein Inneres überfordert war. Mein System hat auf Rückzug geschaltet – aus Erschöpfung, aus Schmerzen, aus innerem Stress, aus alten Verletzungen. Damals habe ich oft gedacht, mit mir stimmt etwas nicht. Ich habe mich geschämt für mein Bedürfnis nach Abstand, für mein Nein mitten in einem Eigentlich ja. Und ich habe versucht, zu funktionieren, mich zusammenzureißen, Erwartungen zu erfüllen – auch in der Nähe zu meinem Partner.
Heute sehe ich das anders.
Heute weiß ich: Toleranz bedeutet auch, diesen Teil in mir ernst zu nehmen. Die feinen Signale meines Körpers zu hören. Mich nicht zu verurteilen, wenn ich gerade keine Berührung will – sondern mir selbst mitfühlend zu sagen: „Es ist okay, so zu fühlen.“
Nähe ist für mich inzwischen viel mehr als körperlicher Kontakt. Sie beginnt bei der Ehrlichkeit mir selbst gegenüber. Bei der Fähigkeit, mir selbst so zu begegnen, wie ich gerade bin – ohne Maske, ohne Druck. Ich lerne, mir die Zärtlichkeit zu geben, die ich mir früher oft nur von außen erhofft habe. Und genau darin entsteht ein neues Gefühl von Verbindung – mit mir selbst. Und auch mit anderen: Wenn ich mir selbst Raum gebe, kann ich anderen echter begegnen. Ohne Erwartungen erfüllen zu müssen. Ohne perfekt zu funktionieren.
Ich merke: Je mehr ich bei mir bleibe, desto tiefer können Begegnungen werden. Nicht trotz meiner Grenzen – sondern weil ich sie achte.
Was Toleranz für mich bedeutet
Ich habe gelernt: Toleranz heißt nicht, alles gutzuheißen. Es heißt nicht, mich selbst oder andere kleinzureden oder Dinge zu ertragen, die mir nicht guttun.
Toleranz bedeutet für mich: Unterschiedlichkeit anzuerkennen. Mein Anderssein. Das der anderen.
Es bedeutet, in Beziehung zu gehen – mit mir, mit dem Leben, mit der Welt. Nicht aus Urteil, sondern aus Respekt. Und dieser Respekt beginnt in mir. In der Art, wie ich mit mir spreche, wie ich auf meine inneren Regungen reagiere.
Wie ich Toleranz übe
Toleranz ist nichts, das einfach da ist. Sie wächst – in kleinen, liebevollen Schritten.
Ich setze mich hin, schließe die Augen, atme. Lege die Hand auf mein Herz und sage mir:„Ich bin genug. Auch wenn nicht alles perfekt ist. Ich darf so sein, wie ich gerade bin.“
Es sind diese einfachen Momente, die in mir etwas verändern. Die mir zeigen: Ich darf mir selbst eine gute Freundin sein.
Fazit
Toleranz ist für mich kein Luxus. Sie ist eine bewusste Entscheidung – jeden Tag aufs Neue.
Ich entscheide mich, mich selbst nicht im Stich zu lassen.
Ich entscheide mich für Mitgefühl – auch wenn ich scheitere. Für Nähe – auch wenn ich mich verschließe. Für Verständnis – auch wenn ich mich selbst nicht ganz verstehe.
Diese Haltung ist für mich der Anfang von echter Verbindung. Zu mir selbst. Und zu anderen.
Vielleicht ist es genau das, was wir heute brauchen: mehr Verständnis, mehr Mitgefühl, mehr Echtheit. Einander halten – ohne festzuhalten. Uns selbst begegnen – und darin wirklich ankommen.
Von Herz zu Herz
endoli | lisa hochstrasser




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